Transprofessionelle Teams in Leitungsverantwortung 

Die Zusammenarbeit von unterschiedlich ausgebildeten Menschen in der Leitung einer christlichen Gemeinschaft oder einer Kirchengemeinde ist eine große Herausforderung. Gleichzeitig kann sie aber auch eine enorme Bereicherung für die beteiligten Menschen sein. Die Dynamik, die in transprofessionellen Teams liegt, kann sich auf das Zusammenleben in einer Gemeinschaft im engeren Sinne, aber auch auf kirchengemeindliche Strukturen und Begegnungen im weiteren Sinne auswirken.  

In der Zusammenarbeit von verschiedentlich ausgebildeten Menschen als Leitungs-Team ist nicht die Profession das Wesentliche, sondern die Professionalität in der Ausführung der jeweiligen Aufgabe und Tätigkeit. Die Etablierung von transprofessionellen Teams in Kirchengemeinden erfordert ein gewisses Maß an Veränderungsbereitschaft bei der bisherigen Kirchenleitung und den Gemeindegliedern. Denn: sie stellt die bisherigen Leitungsformen auf den Kopf. Dabei ist die Grundidee keine neue. Schon im Neuen Testament lesen wir von unterschiedlichen Gaben und Aufgaben in der Gemeinde. Selbst die wichtigen Texte der Christenheit stammen nicht etwa aus einer Feder, sondern wurden von Menschen mit unterschiedlicher Profession abgefasst: Lukas etwa war Historiker, Paulus hingegen Zeltmacher. Das Evangelium braucht verschiedene Perspektiven und Betrachtungsweisen, um ganz zum Leuchten zu kommen. Das kann auch uns ermutigen, Gemeindearbeit viel stärker als Teamplay zu verstehen.  

In der Church of England macht man die Erfahrungen, dass insbesondere im Team geleitete Gemeinden für Neugründungen verantwortlich sind. Oder dass sie einen Zuwachs an Gemeindegliedern erfahren haben. 

Transprofessionelle Teams sind aber kein Allheilmittel für die strukturelle Probleme in einer Volkskirche, die von Kirchenaustritten und demographischem Wandel geprägt ist. Sie sollten auch nicht zuerst als Mittel zur Optimierung kirchengemeindlichen Handelns oder für die gesellschaftlich gewünschte Öffnungen in den Sozialraum gesehen werden. Worum es geht, ist ein grundsätzlich anderes Handeln. Um ein Leitungshandeln, das aus der geistlichen Gemeinschaft und von den Kirchengemeindemitgliedern heraus entspringt. Diese partizipativen Ansätze stärken das Zugehörigkeitsgefühl und verbinden Menschen auf eine tiefere Weise. In gemeindlicher Teamarbeit geht es vor allem darum, einander so zu dienen, wie Jesus seinen Jüngern gedient hat.  

In Leitungsposition der Kirche braucht es in Zukunft also Menschen, die sich nicht als alleinigen Verantwortlichen sehen, wie über viele Jahrhunderten hinweg das Pfarramt gedacht war. Es braucht Teamplayerinnen und Teamplayer, die in der Lage sind, sich in ihrer Unterschiedlichkeit zu ergänzen, sodass sie als Leitungsteam der Gemeinde dienen. 

Nicht nur die Zusammensetzung, sondern auch die Starrheit kirchlicher Leitung muss in Zukunft aufgebrochen werden. Teammitglieder müssen nicht für immer und für alles Verantwortung übernehmen. So kann es für die Umgestaltung von Gemeinderäumen beispielsweise sinnvoll sein, dass eine Bauingenieurin und ein Elektromeister zeitweise mit in der Verantwortung sind. Für die Einführung neuer Gottesdienstformen, sind dann wieder andere Menschen im Leitungsteam sinnvoll.  

Die Idee von transprofessionellen Teams fördert solche fluideren Formen der Zusammenarbeit, weil sie danach fragt, wer für eine bestimmte Aufgabe geeignete Fähigkeiten mitbringt und nicht, wer für die Aufgabe zuständig ist. Daraus resultieren effektivere und Ressourcen sparende Arbeitsabläufe, was zu mehr Zufriedenheit der Mitwirkenden führt. Wer sich gebraucht und am richtigen Platz fühlt, der empfindet seine Arbeit als sinnvoll und kann im besten Fall Energie daraus schöpfen. Wenn kirchliche Prozesse besser im Team oder als netzwerkorientierte Zusammenarbeit gedacht wären, könnten sich neue Freiräume für Weiterentwicklung und innovative Ideen ergeben. 

Teamarbeit in der Zukunft der Kirche ist notwendig, damit Kirche wieder mehr Zustimmung und Bedeutsamkeit innerhalb der eigenen Gemeindeglieder, wie auch innerhalb er Gesellschaft erfährt.  


Autorin Anna Weister-Andersson  

ist eine schwedische Singer – Songwriterin für Gospelmusik, leitete mehrere und unterschiedliche Gospelchöre in Schweden. Gemeinsam mit ihrem Ehemann lebte Anna etliche Jahre in Großbritannien in zwei christlichen Gemeinschaften, wo sie auch als Worship-Leiterin aktiv war. 


Kleines Lexikon der Teamarbeit 

Multiprofessionell: Menschen mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund arbeiten zusammen. Jede:r parallel mit klarer Rolle in seinem Fach- und Zuständigkeitsgebiet. 

Interprofessionell: Ähnlich wie multiprofessionell, aber Ziele aller Bereiche werden gemeinsam festgelegt und Entscheidungen zusammen verantwortet. Jede:r arbeitet dann parallel in seinem Fachgebiet.  

Transprofessionell: Nicht nur Ziele und Entscheidungen sind gemeinsame Sache, sondern auch die eigentliche Arbeit erfolgt nicht in Zuständigkeitsbereichen, sondern interaktiv und partnerschaftlich.  

Nach: Daniela Schmitz & Tobias Schmohl: Handbuch Transdisziplinäre Didaktik, S. 357. 

Lauf, Pinguin, lauf! 

Ein Pinguin kann sich an Land fortbewegen, das klappt. Aber haben Sie ihn schon mal beim Schwimmen beobachtet? Absolut kein Vergleich!  

Jede und jeder von uns hat, biblisch gesprochen, besondere Gaben und Fähigkeiten: werden diese eingebracht und gelebt, ist das wie beim Pinguin im Wasser. Niemand will doch wie der Pinguin am Land tapsig rumstolpern, weil wir Dinge tun müssen, die wir zwar irgendwie hinbekommen, für die wir aber nicht gemacht sind. Deshalb sind wir als Teams zusammengestellt: Wir ergänzen und bereichern uns gegenseitig.  

Das gilt für alle Haupt- und Ehrenamtlichen gleichermaßen. Niemand kann alles, egal welches Amt er oder sie in unserer Kirche bekleidet. Nimmt man diesen Gedanken ernst, ist die zentrale Rolle des Pfarramtes in unserer Kirche ein Problem. Die multiplen Anforderungen müssen zwangsläufig in die Überforderung führen. Andere Menschen kommen dagegen nicht zum Zug mit ihren Kenntnissen und Fertigkeiten. Übrigens können wir schon in Epheser 4 von verschiedenen Fähigkeiten lesen: da werden Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer aufgezählt. Sie haben unterschiedliche Begabungen. Was sie eint, ist das gemeinsame Ziel: Die Gläubigen zu befähigen für ihren Dienst. Sie sollen nicht alles selber machen, sondern die Christen dazu in die Lage versetzen, ihren Glauben zu leben. Heute nennt man das Empowerment. Luther sprach vom Priestertum aller Gläubigen. 

Wie gelingt das? In Epheser 4 heißt es „bemüht euch darum, die Einheit zu bewahren. … Der Frieden ist das Band, das euch alle zusammenhält.“ Sprich: Einander zugewandt und verbunden sein, sich nicht auf Kosten anderen aufspielen und für noch wichtiger halten. In Demut die eigene Rolle annehmen und nicht um der Macht willen überall mitmischen wollen – und sich an dem freuen, was andere können und was ihnen gelingt.  

Autonomy, Mastery, Purpose (deutsch: Eigenständigkeit, Können und Sinnhaftigkeit) – mit diesen drei Stichworten beschreibt Daniel Pink die wesentlichen Aspekte, die Menschen motivieren. Etwas eigenverantwortlich tun zu dürfen, das eigene Können ins Werk zu setzen und weiterzuentwickeln und schließlich einen Sinn erleben bei dem, was man tut. Für die Kirche der Zukunft brauchen wir genau das. Menschen, die sich nicht als Handlanger und Lückenbüßer erleben – egal ob Haupt- oder Ehrenamtliche – sondern die Gaben leben, die ihnen von Gott geschenkt sind: mit Verantwortung, Können und Sinn. Ganz im Sinne von Epheser 4. 


Autoren:
Andreas Arnold und Matthias Bredemeier
Vorsitzende von Kirche für morgen

Burnout als Risiko in der Teamarbeit 

…und plötzlich läuft es in der Kirchengemeinde nicht mehr wie gewohnt, weil eine:r im Team wegen Burnout auf unbestimmte Zeit fehlt. Dieses Ereignis kennen viele ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter:innen aus dem eigenen Gemeindeleben. Doch wie kommt es dazu? Und vor allem: Kann man etwas dagegen unternehmen? 

Die Sache auf den Grund gehen 
Bei der Entstehung eines Burnouts treffen immer äußerliche Belastungen mit der inneren Haltung einer Person zusammen (siehe Abbildung 1). Aus dem Aufeinandertreffen dieser Faktoren entstehen Enttäuschungen. Diese steigern die persönliche Belastung. 

Nun: Was fördert die eigene Gesundheit und Widerstandskraft im Auf und Ab unseres Lebens? Die Forschung hat eine ganze Reihe von sog. Resilienzfaktoren ausgemacht. Dabei ist Resilienz die Widerstandsfähigkeit in den Widrigkeiten des Lebens.  

Zu diesen Resilienzfaktoren gehört die Empathie, also das Einfühlungsvermögen. Das haben wir im besten Fall zunächst in uns selbst. Wir können die eigenen Gefühle spüren, sie körperlich sowie sprachlich ausdrücken können und schließlich lernen, sie zu regulieren. Oder wie schon M. Luther sagte: „Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel der Sorge über deinem Haupt kreisen, aber du kannst dafür sorgen, dass sie nicht Nester in deinen Haaren bauen.“ Ein wichtiger, aber eher unbekannter Resilienzfaktor ist die Selbstwirksamkeitsüberzeugung. Dabei kommt es nicht auf eine objektive Wirksamkeit an, sondern darauf, dass ich überzeugt bin, dass ich wirksam bin. Ob ich diese Wirksamkeit im beruflichen oder im ehrenamtlichen oder privaten Feld erlebe, ist dagegen nicht so wichtig.  

Resilienz hat damit zu tun, Unterschiede machen zu können, vor allem, wenn ich auf Beschränkungen treffe, die das Leben mir zumutet, und nach Erfahrungen des Scheiterns. Hier geht es um zweierlei: Erstens sollte man unterscheiden, worauf ich Einfluss habe und worauf nicht, um sich mit verbindlichem zu arrangieren. Deshalb wird dieser Punkt auch häufig Akzeptanz genannt. Nach Erfahrungen des Scheiterns gilt es zweitens, resilient statt depressiv zu reagieren: Ich übernehme die Verantwortung für meinen Teil am Scheitern und vertraue darauf, dass es beim nächsten Mal besser gehen wird. 

Zu den eher bekannteren Resilienzfaktoren zählen die Fähigkeit, soziale Netzwerke zu unterhalten und sich an ihnen zu beteiligen: Familien, Freundschaften, ehrenamtliche Arbeit und Teilhabe am Gemeinwesen kann resilient machen. 

Auch gelebte Spiritualität schützt: zu glauben und zu erleben, dass man zu etwas Größerem gehört, zu Gott und zur Menschheit. Genauso zählt realistischer Optimismus zu den Resilienzfaktoren, Betonung auf realistisch. 

Ist Prävention das A und O? 

Äußere Umstände allein machen nie einen Burnout. Der passiert nur in Kombination mit der mangelnden inneren Fähigkeit die äußere Belastung zu bewältigen. Insofern können Verbesserungsvorschläge für die Ausbildung nur das Risiko mindern. Sicher könnte man an der Ausbildung immer wieder vieles ändern. Das geschieht auch. Dennoch kann man nicht verhindern, dass auch die nächste Generation mit ihren eigenen Themen in Krisen und Burnout geraten kann. Viel wichtiger ist dagegen, dass Menschen Bewältigungsmechanismen lernen, die den Resilienzfaktoren entsprechen. Die Forschung hat nämlich nachgewiesen, dass exakt dieselben äußeren Umstände eben manche in den Burnout treiben und andere überhaupt nicht. Das gilt für hauptamtlich arbeitende Menschen ebenso wie für ehrenamtlich Arbeitende. 

Hinweise gegen die Burnout-Spirale 

  • Multitasking vermeiden. 
  • Feste Zeiten für E-Mail-Bearbeitung, Sprech- und Lesezeiten einrichten. 
  • Mit mir selbst und anderen Menschen wertschätzend statt abwertend reden. 
  • Mit Zeitmanagement-Methoden den Zeitdruck mindern. 
  • „Nein“ sagen lernen. 
  • Fehler wohlwollend unter die Lupe nehmen: Welche Erkenntnisse könnte ich daraus gewinnen? 
  • Rollenerwartungen überprüfen. Widersprüchliche Rollen bringen konträre Erwartungen mit sich. Das führt zu hohem Stress: Vorgesetzte:r und Seelsorger:in für dieselbe Person sein zu wollen, ist oft unmöglich! 
  • Unklare Zielvorgaben in klare Vorgaben verwandeln. 
  • Überforderung mir selbst eingestehen und entsprechende Aufgabe abgeben. 
  • Unterforderung und zu viel Routine mit den Kollegen besprechen. Das Team sollte neue Herausforderungen definieren. 
  • Mich von zu hohen Idealen verabschieden, indem ich ein Teil meines Gehaltes als Schmerzensgeld verstehe.  
  • Überstunden mit gutem Gewissen abfeiern! 
  • Meine Beziehung zu Gott und mein soziales Netzwerk pflegen. 
  • Konflikte und Kritik immer face-to-face, niemals schriftlich oder digital. 
  • Zeit für mich allein nehmen, abgesehen von Freund:innen, Hobbies, usw.  
  • Mir regelmäßig und ehrlich die Frage stellen: Fühle ich mich gerade wohl? 
  • Mich für eine gute Sache engagieren
  • Sport so betreiben, dass ich meinen Körper spüre. 
  • Eine Entspannungsübung wählen, die ich auch in Stresszeiten durchführen kann. 
  • Hilfe annehmen. 
  • Jemanden lieben. 
  • Humor kann vermeiden, dass manche Dinge nicht todernst werden und uns im Übermaß frustrieren. 

Autorin:
Dr. Dagmar Kreitzscheck

Zitronenfalter 02/2024

Liebe Leserinnen und Leser,

Wir freuen uns! Der neue Zitronenfalter ist da. Diesmal geht es um das Thema: „Team Works?“ Insbesondere über die Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in der Kirchengemeinde. Über dieses Thema finden Sie verschiedene Beiträge, Methoden und Interviews, wie man eine gute Zusammenarbeit bewirken kann. Interviews wurden zum Beispiel mit der Christchurch Spitalfields in Ostlondon oder dem Jesus-Projekt in Erfurt geführt. Zudem berichtet Dr. Dagmar Kreitzscheck über Präventionen von Burnout in der Teamarbeit und es gibt auch einen kleinen Blick in die Zukunft des Ehrenamts.

Interessiert? Das komplette Heft können Sie hier lesen oder als PDF herunterladen.

Viel Spaß beim Lesen.

Team Works in der Christ Church Spitalfields

Ich (Tobias Stippich) habe nach meinem Abitur ein Jahr in London in der Christ Church Spitalfields in Ostlondon verbracht. Die Teamarbeit dort hat mich sehr fasziniert. Mit Pfarrer Darren Wolf spreche ich darüber, was wir von ihnen lernen können.  

Darren, stell uns deine Gemeinde erst einmal vor. 

Wir gehören zur anglikanischen Kirche und haben ungefähr 300 aktive Gemeindemitglieder, die zwei verschiedene Gottesdienste besuchen, einen morgens um 11 Uhr und einen speziell für Menschen unter 25 abends um 17 Uhr. Wir haben einen weiteren Pfarrer und insgesamt 18 Hauptamtliche in der Gemeinde. Die meisten davon kümmern sich um das Gebäude.  

Die meisten kümmern sich um das Kirchengebäude? 

Ja, so läuft das bei uns. Wir betreiben nämlich auch ein Event-Business, das unseren Kirchenraum für private Feste, Firmenfeiern oder auch Konferenzen vermietet. Das finanziert die kompletten Ausgaben für das 300 Jahre alte Kirchengebäude.  

Welchen Hintergrund haben die verschiedenen Mitarbeitenden?  

Alle im Leitungsteam haben eine theologische Ausbildung. Nicht alle haben darin einen Abschluss oder ein extra Studium absolviert, aber zumindest einen Kurs an der Hochschule besucht. Die Leute, die für uns arbeiten, kommen aus ganz unterschiedlichen Hintergründen. Sie haben oft davor etwas ganz anderes gemacht und dann gemerkt, dass sie gerne für eine Kirchengemeinde arbeiten wollen.  

Welche Rolle kommt Ehrenamtlichen zu? 

Bei uns arbeiten pro Monat ungefähr 140 Menschen ehrenamtlich in unterschiedlichen Bereichen mit: Gemeindearbeit, Finanzen, Personal, gemeinnützige Aktionen wie unsere Arbeit mit Obdachlosen und Glaubenskursen. Ganz ähnlich wie der Kirchengemeinderat bei euch haben wir einen „church council“, der gewählt wird. Viele Leitungsaufgaben liegen allerdings rein praktisch dann doch bei mir als Pfarrer. Wir versuchen allerdings so gut es geht, Menschen, die nicht ordiniert sind, in jeden Bereich der Gemeinde einzubinden. Deshalb haben wir insgesamt 58 ehrenamtlich Leitende in der Gemeinde, die etwa unsere Hauskreise oder andere Bereiche unserer Gemeinde verantworten. Für deren Ausbildung bieten wir regelmäßig Workshops an. 

In einer Stadt wie London gibt es so viele Möglichkeiten, sich zu engagieren. Wie motiviert ihr Menschen? 

Ich habe zwei Tipps für euch. Erstens: Wenn du möchtest, dass Menschen sich in deiner Gemeinde einbringen, dann musst du zuerst in deine eigene spirituelle Entwicklung investieren. Es geht um simple Sachen wie Beten und Bibellesen. Aber auch darum, vorzuleben, was es bedeutet, Christin oder Christ zu sein. Wenn du es nicht vorlebst, warum sollten andere Menschen so leben wollen? Das zweite ist, dass Gemeinden sich nur weiterentwickeln, wenn Leitende Verantwortung delegieren können. Da geht es nicht nur um Aufgaben wie die Lesung im Gottesdienst oder den Kaffeedienst. Es geht darum, Verantwortung abzugeben für wichtige Aufgaben und Bereiche. Dabei sollen Menschen ihre eigenen Erfahrungen und Fehler machen dürfen. 

Was ist dein größtes Learning, wie man Menschen motivieren kann, mitzumachen? 

Ich habe zwei Learnings. Erstens: Es ist sehr schwer, Menschen zur Mitarbeit zu motivieren. In London bemerken wir besonders, wie individualistisch Menschen unterwegs sind und wie stark auch Religion als Konsum verstanden wird. Leute kommen in unsere Gottesdienste und erwarten, dass sie etwas konsumieren können. Da reicht es nicht zu sagen: „Hey, hast du Lust hier mitzuhelfen?“ Sondern man muss auch erklären, warum unsere Gemeinde eine Mitmachgemeinde ist und sich als große Familie versteht, die mehr als nur abspielbares Programm bietet. Und zweitens: Menschen sind auf einem Weg mit unterschiedlichen Startpunkten. Wir stehen deshalb nie vorne und sagen: „Wir brauchen unbedingt Mitarbeiter, damit es auch weiterhin Kaffee vor unseren Gottesdiensten gibt.“ Druck und Zwang mag niemand gerne. Deshalb sind wir immer mit einzelnen im Gespräch und suchen einen passenden Platz für sie, mit dem sie sich wohlfühlen: „Du liebst doch Kaffee. Wäre es nicht eine coole Idee, Menschen Kaffee zu servieren? Magst du das mal ausprobieren?“.  

Vielen Dank dir, Darren, dass du deine Erfahrungen mit uns geteilt hast.  


Autor: Tobias Stippich 
Mitglied im Redaktionsteam 

Theresa Brückner: Loslassen, Durchatmen, Ausprobieren 

Sieben „Todsünden der Kirche“ stellt die Autorin in ihrem Buch auf und präsentiert jeweils eine konstruktive Gegenthese, in der sie ihren Traum von Kirche zeichnet. Im Kap. 3 bedauert sie z.B. den „Überlastungsstolz“ vieler Hauptamtlichen, insbesondere in der Boomer-Generation. Sie wirbt dagegen für eine Kultur der Achtsamkeit. Die Berliner Digitalpfarrerin berichtet aus der eigenen Praxis, bei der sie alle Formate auf den Prüfstand stellt: Sind sie wirklich zielgruppenorientiert? Sie erzählt, wie sie z.B. einen Gottesdienst mit Jugendlichen radikal neu konzipierte (Kap. 2). Sie zeigt auf, wie Kirche nicht nur für die üblichen Verdächtigen da ist (Kap. 4) und wünscht dabei eine ganze Bandbreite an Mitgliedschaftsformen. Anstatt im Hintertreffen zu landen, sollte die Kirche eine Vorbildrolle der Kirche in der Gesellschaft übernehmen (Kap. 5). Schutzmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt stellen für sie keine Nebensache dar, sondern sind ein fester Bestandteil der kirchlichen Arbeit (Kap. 6). Zum Schluss ist Kap. 7 eine wahre Fundgrube mit Tipps für Influencer. Ein Buch zum Wachrütteln! 


Autor:

Blaise Gourget 
Mitglied im Redaktionsteam des Zitronenfalters 

Das Jesus-Projekt

Renate und Hermann Brender sind im Ruhestand aufgebrochen und haben in Erfurt beim Jesus-Projekt ehrenamtlich mitgearbeitet und -gelebt. Das Jesus-Projekt ist eine diakonisch-missionarische Initiative, die 2004 von zwei Ehepaaren und bald dazu zwei Singles ins Leben gerufen wurde. Sie haben in der Platte Wohnungen gemietet und dort mit denen gelebt, die sich arbeits- und perspektivlos am Anlagenbrunnen mit dem Bier in der Hand getroffen haben. Heute arbeitet das Jesus-Projekt mit Kindern und Familien, mit Leuten mit Sozialstunden und im Café als Treffpunkt für Alleinstehende. 

Im Gebiet „Roter Berg“ sind ca. 60 % der Familien auf Staatsleistungen angewiesen. Oft sind Eltern mit der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder überfordert. „Bärenstark“ als Familienbildungsangebot bietet für sie deshalb ein vielseitiges Programm an, wie etwa „kochen und richtig ernähren“ oder „die Natur erleben“. Die Kinder lernen, was sie für ein selbstständiges Leben brauchen und entdecken den christlichen Glauben.  

Im Begegnungszentrum „ANDERS“ bekommen Menschen, die Sozialstunden ableisten müssen oder von Einsamkeit geplagt sind, neue Perspektiven: eine Tagesstruktur, regelmäßige gesunde Mahlzeiten und die Möglichkeit, sich in einer Werkstatt praktisch einzusetzen. Außerdem engagiert sich das Jesus Projekt im Bereich Streetwork und bietet mit Picknicks, Begegnungscafés und Initiativen gegen Einsamkeit ein vielfältiges Angebot für Zielgruppen, die oft vergessen werden. 

Die Mitarbeitenden bilden bis heute eine Lebensgemeinschaft, die das Jesus Projekt trägt. Das Jesus Projekt ist Teil der Diakonie Mitteldeutschland. Organisiert ist es als Verein. Mehr auf www.jesus-projekt-erfurt.de  

Was ich (Hermann Brender) in der Platte für die Zukunft der Kirche gelernt habe

Ich und meine Frau wollten zu Beginn unseres Ruhestandes nochmal etwas Neues kennenlernen und sind auf das Jesus-Projekt, eine sozial-missionarische Initiative in der Erfurter Platte, gestoßen. Dort haben wir die letzten sechs Jahre als Teilzeitthüringer mitgewirkt. Drei Dinge habe ich gelernt:   

Beteiligung statt Konsum 

Im Jesus-Projekt werden viele einbezogen. Hauptamtliche, Ehrenamtliche und selbst Teilnehmende mit Suchthintergrund arbeiten selbstverständlich gemeinsam. Ich denke, Menschen halten sich zur Gemeinde, wenn sie beteiligt werden und nicht nur eingeladen sind zu dem, was andere ihnen vorsetzen. Das zeigt sich z. B. auch an den Vesperkirchen bei uns im Ländle, in denen enorm viele Ehrenamtliche engagiert mitarbeiten. Die Zeit, in der einfach nur Predigten und Gottesdienste konsumiert werden, ist aus meiner Sicht vorbei. Die Zukunft gehört dem gemeinsamen Gestalten.  

Wertschätzung als Schlüssel  

Manchmal habe ich in unserer Kirche das Gefühl, dass ehrenamtliches Engagement als Einmischung, sogar als Bedrohung angesehen wird. Denn wo viele sich einbringen, da sprengt das oft die Statik einer ordentlich verwalteten Gebietskörperschaft. Wenn überhaupt, dann sollen nur Menschen mitarbeiten, die aufgrund ihrer Ausbildung, ihres Berufs oder ihrer Begabungen viel Kompetenz mitbringen. Im Jesus-Projekt habe ich das anders erlebt: Hier wurde auch Menschen etwas zugetraut, die sonst das Gefühl haben, ungebraucht und ungeeignet zu sein. Für viele war es eine echte Ehre, wenn sie für die Mitarbeit angefragt wurden. Manche haben zum ersten Mal erlebt, dass sie etwas Wichtiges beitragen können und ihnen dafür öffentlich gedankt wird. Diese ehrliche Wertschätzung prägt die ganze Arbeit des Jesus-Projekts. Ich bin immer mehr davon überzeugt: So geht Reich Gottes!  

Mit- statt Gegeneinander 

Beim Jesus-Projekt sind Menschen aus ganz unterschiedlichen christlichen Gemeinden mit dabei und haben sich in verschiedenen Konstellationen ergänzt. Das hat mich begeistert! Bei diakonischen Diensten ist die Zusammenarbeit über Kirchengrenzen hinweg oft problemlos möglich, ohne dass man Gottes Wort beiseitelassen muss. Gemeinden sollten deshalb viel enger mit Diakonie und Caritas zusammenarbeiten. Das öffnet unserer Erfahrung nach auch Räume für Menschen, denen der intellektuelle Zugang unserer Gottesdienste nicht liegt.  

Zitronenfalter 01/2024

Wir haben geschwitzt, gebrainstormt und gelayoutet. Und es hat sich gelohnt: Der neue Zitronenfalter ist da.

Warum wir im Jahr 2023 ein gedrucktes Magazin neu auflegen? Weil wir unsere Begeisterung für Kirche greifbar und fühlbar machen wollen. Dazu braucht es auch handfeste Möglichkeiten, gute Ideen physisch weitergeben zu können.

Ein Jahr lang haben wir als neu zusammengesetztes Redaktionsteam in verschiedenen Workshops unser Magazin auf den Prüfstand gestellt. Mit dem neuen Zitronenfalter wollen wir noch näher dran sein an den aktuellen kirchenpolitischen Entwicklungen in Württemberg. Deshalb gibt es ab sofort die Rubrik Synode, in der unsere Synodalen von ihrer Arbeit berichten. Außerdem ist es uns wichtig, immer von der Praxis aus auf die Kirchenpolitik zu blicken. Das Gemeindeporträt soll deshalb in jeder Ausgabe konkret vor Augen zeichnen, wo hoffnungsvolle Aufbrüche in unserer Landeskirche passieren. Und unser druckfrisches Layout von Grafikdesignerin Heidi Frank setzt ein klares Statement, wofür Kirche für morgen steht: ein mutiges, hoffnungsvolles und offenes Mindset mit Blick auf die Zukunft der Kirche.

Was aber ganz beim Alten bleibt, ist unser Anspruch: Aktuelle Themen, die unsere Kirche beschäftigen, für euch aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Darauf haben wir richtig Bock.

Das komplette Heft können Sie hier lesen oder als PDF herunterladen.

Zitronenfalter 01/2022

Liebe Leserinnen und Leser,

Es ist Sommerzeit. Zeit der Fernreisen. Wie sehr genießen wir es im Urlaub, in der Fremde und unter Fremden zu sein. Aber wie sieht es in unserer Nachbarschaft, unserer Gemeinde, unserem Land aus mit der Freude am Frem- den? Und sind wir uns nicht manchmal selber fremd… sogar oder erst recht, in unserer Art zu glauben? Die Antike erkannte das Fremde in der Dimension unterschiedlicher Sprachen, griechisch: ßápßapoç, bárbaros: Barbar war der Fremde, der schlecht griechisch und damit unverständlich sprach. Aber stimmt die Bewer- tung: das Eigene, Vertraute ist gut, alles Fremde ist „barbarisch“? Diese Ausgabe des Zitronenfalters lädt ein, sich mit dem Fremden in mir auseinander
zu setzen. Die Autorinnen und Autoren stellen Fragen: Miroslav Wolf: Ausgrenzen oder umarmen? Andreas Hiller: Wie gehe ich mit Vorurteilen um? Sarah Vecera: Macht Alltagsrassismus vor der Kirchentür halt? Und Jakob „Jay“ Friedrichs: Was mache ich, wenn der eigene Glaube fremd wird? Für uns, Tabea und Johannes, ist es zusammen mit Christian Kohler die letzte Ausgabe, an der wir mitgearbeitet haben. Wir verabschieden uns aus dem Redaktionsteam und danken für wunderbare Jahre der kreativen Teamarbeit und für unzählige konstruktive Rückmeldungen!

Das komplette Heft können Sie hier lesen oder als PDF herunterladen.

Zitronenfalter 02/2021

Liebe Leserinnen und Leser,

Innovation ist in aller Munde. Nicht nur seit Corona und der Digitalisierung. Und jetzt auch noch bei der Kirche? Sollte da nicht, bitte schön, alles beim Alten bleiben? Wenigstens dort, wo viele Vertrautheit und Heimatgefühle erleben? Dr. Klaus Douglass geht der Frage nach, was eigentlich „normal“ ist und was Menschen dazu bringt, Glaube, Liebe und Hoffnung weiterzugeben. Den Blick über den Zaun wagt Andreas Arnold mit einer Zusammenfassung des Referats von Dr. Horneber auf dem 7. Forum Digitalisierung der Landeskirche. Als EKD-Synodaler stellt uns David Lehmann die neue Präses Anna-Nicole Heinrich vor. Wie Alt und Neu zusammenpassen, dazu gibt Pfr. Sebastian Steinbach einen Einblick. Spannend zu lesen, wie die Klostermauern in Hirsau frischen Wind atmen und welche Erfahrungen die Menschen dort machen.

Wir wünschen Ihnen beGEISTernde Impulse und innovative Blickwechsel, die ermutigen!

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