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Kommentar zum Wahlprogramm von Evangelium und Kirche

Das Wahlprogramm von Evangelium und Kirche beschreibt auf breitem Raum die Situation unserer Gesellschaft und vor allem der evangelischen Kirche, wie sie sich zur Zeit darstellt. Dabei werden die klassischen Bereiche der kirchlichen Arbeit benannt: Diakonie, Bildung, Jugend- und Seniorenarbeit, Seelsorge. Auffällig ist, dass bei dieser Beschreibung von Kirche das Stichwort Verkündigung nicht als extra Überschrift vorkommt.

Die Darstellung von Kirche in ihren derzeitigen Lebensäußerungen mündet dann nach jedem Unterabschnitt in die Forderungen von Evangelium und Kirche. Kurz zusammen gefasst, möchte EuK alles, was es zur Zeit in der Kirche gibt, stärken und ausbauen. Genannt werden z.B. „Bildungseinrichtungen in kirchlicher Trägerschaft“ (S. 4), „Familienzentren, in denen Bildungs- und Beratungsangebote für Familien stattfinden“ (S. 6), „Schulseelsorge“ (S. 6), „in der Jugendarbeit attraktive Stellen“ (S. 6) und „Angebote der Telefonseelsorge und Online-Seelsorge“ (S. 7). Die Frage ist nur, mit welchen Ressourcen dies geschehen soll? Wie soll das alles finanziert werden?

Und was wird aus den Menschen, die die Kirche mit der bisherigen Arbeit nicht erreicht? Neue Ideen sucht man bei Evangelium und Kirche leider vergebens. Viele Forderungen klingen gut, gehen aber an der Realität vorbei. Da heißt es: „EuK tritt dafür ein, dass in möglichst jeder Kirchengemeinde Kinder- und Kleinkindergottesdienste gefeiert werden, um so Kindern die biblische Botschaft altersgemäß nahezubringen.“ (S. 5) Natürlich ist es ein wichtiges Anliegen, Kindern die biblische Botschaft nahe zu bringen. Aber die Zahlen sind fast überall rückläufig, weil klassische Kinderkircharbeit nicht mehr in den Lebensrhythmus moderner Familien passt. Es braucht also neue Konzepte und nicht klassische Kinder- und Kleinkindergottesdienste.

Auf der nächsten Seite heißt es dann: „EuK tritt dafür ein, dass Konfirmanden- und Jugendarbeit verstärkt miteinander verknüpft werden.“ (S. 6). Genau das wird schon seit Jahrzehnten mit mehr oder weniger Erfolg versucht. Das ist weder eine neue kreative Idee noch lässt sich so etwas von der Landessynode verordnen. Oder auf der nächsten Seite: „EuK tritt dafür ein, dass in den Dienstaufträgen der Pfarrerinnen und Pfarrer genügend Zeit für die Seelsorge eingeräumt wird.“ (S. 7). Auch das Thema Seelsorge im Pfarrberuf wird seit Jahrzehnten diskutiert ohne dass dadurch mehr Seelsorge gemacht wird. Solange der Pfarrberuf eine umfassende Zuständigkeit für alle kirchlichen Arbeitsbereiche hat und angesichts der Pfarrpläne sind solche Forderungen reine Illusion. Da müsste man schon den Pfarrberuf grundsätzlich überdenken und reformieren. Solche Gedanken finden sich bei Evangelium und Kirche aber nicht.

Zwar wird erkannt: „Die Kirche steht vor großen Herausforderungen: Individualisierung, Pluralisierung und Säkularisierung sind Themen, die uns als Evangelische Landeskirche theologisch wie organisatorisch beschäftigen.“ (S. 3) Was daraus folgt, sind aber nicht neue Ideen, sondern der Rückzug auf das bisherige. Alles soll so bleiben wie es war. Dazu passt auch, dass gefordert wird, „dass das universitäre Studium der Theologie bzw. die akademische Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer der Regelzugang zum Pfarramt bleibt.“ (S. 5) Ein Blick in die weltweite Christenheit zeigt, dass es auch anders geht. Wer Menschen aus allen Lebenswelten ansprechen will, braucht auch Hauptamtliche, die keinen akademischen Abschluss haben.

Dringend notwendige Strukturreformen innerhalb der Kirche sind für Evangelium und Kirche kein Thema. Dafür kommt der Hinweis: „Keine Struktur kann den Erfolg garantieren.“ (S. 3) Das stimmt zwar, aber schlechte Strukturen können die Arbeit massiv behindern. Wer sich angesichts der Herausforderungen unserer Zeit nur auf das althergebrachte zurückzieht, wird seiner Verantwortung für die Zukunft nicht gerecht. Es reicht nicht zu sagen: „Pfarramt und Kirchengemeinde sind genügend Veränderungen ausgesetzt.“ (S. 3)

Positiv ist, dass es das Wahlprogramm von Evangelium und Kirche auch in leichter Sprache gibt. Hier wird mit der Forderung nach einer sprachfähigen Kirche wirklich ernst gemacht. Welches Kirchenbild hinter dem Wahlprogramm von Evangelium und Kirche steht, wird allerdings leider an keiner Stelle erkennbar.

Ein weiterer Mangel im Wahlprogramm von Evangelium und Kirche besteht in der Zentrierung auf den Pfarrberuf. Andere kirchliche Berufsgruppen kommen, abgesehen von einer Erwähnung von Jugendreferentinnen und Jugendreferenten, nicht vor. Was ist mit den Diakoninnen und Diakonen? Was ist mit den Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern und all den anderen Berufsgruppen in der Kirche? Und schließlich tauchen im Wahlprogramm von Evangelium und Kirche Ehrenamtliche nur in den Rubriken Diakonie und Seelsorge auf. Ist das alles, was EuK dazu einfällt?

Wenn Kirche eine Zukunft haben will, müssen wir den Blick weiten und kreative und innovative neue Wege gehen. Wer sich nur auf das bisherige zurückzieht, hat die Hoffnung schon aufgegeben.

Dr. Jens Schnabel, Pfarrer, 1. Vorsitzender von Kirche für morgen

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