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Rassismus macht nicht vor der Kirchentüre halt

Wenn wir von Rassismus reden, reden wir oft von den anderen. Warum nicht einmal über uns selbst?

Wenn ich mir Talkshows zu den Themen Rassismus oder Identitätspolitik ansehe, erlebe ich häufig ein Schwarz-Weiß- Denken, das die Debatten aufkochen und die Menschen streiten lässt. Dabei sehe ich gerade in diesen Themen eine große Chance für uns Christ*innen, bessere Dialoge führen zu können. Gleichzeitig ist es als Kirche gefährlich, das Thema Rassismus von außen zu betrachten und uns als „die Guten“ zu betrachten. Als die, die nichts mit strukturellem Rassismus zu tun haben.

Wenn ich von Rassismus spreche, meine ich nicht den vielzitierten Rechtsextremismus und auch nicht jenen Rassismus, der Deutschland bis 1945 beherrschte. Ich meine eine rassistische Prägung, die sich seit der Aufklärung unbemerkt in uns verankert hat. Zur Zeit der Aufklärung brauchten die Menschen einen Legitimationstrick, mit dem es ok war, zum einen die Werte der Aufklärung – Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit – hochzuhalten und zum anderen die Menschen kolonial auszubeuten.

Also haben Gelehrte aus Philosophie, Kirche und Wissenschaft dazu beigetragen, ein Rassenkonstrukt in die Welt zu tragen und aufrechtzuerhalten, in dem eins feststand: Ganz oben steht die „weiße Rasse“. Eine Rasse, die die Werte der Aufklärung in sich vereint. Alle anderen sind Menschen zweiter Klasse und wurden entmenschlicht.

Heute wissen wir natürlich, dass es keine biologischen Menschenrassen gibt. Und doch gibt es immer wieder Äußerungen, die auf eben diese Klassifizierung zurückführen. Zum Beispiel wenn in der Kirche davon gesprochen wird, dass unsere afrikanischen Geschwister „Rhythmus im Blut“ haben oder die Deutschen „per se pünktlich“ sind und eine „innere Uhr sie antreibt“. Oder wenn in Medien darüber spekuliert wird, warum Läufer*innen aus Kenia bei den olympischen Spielen so schnell sind und sauber finanzierte Studien dann herausfinden wollen, dass die kenianische Wade im Schnitt 15 Gramm leichter ist. Vergleichbare Studien sucht man bei weißen Schwimmweltmeister*innen vergebens, weil bei ihnen die Gründe „Fleiß und hartes Training“ ausreichen.

Diese Bilder werden auch in unserer Kirche verfestigt, weil dort People of Color durchaus im kirchlichen Kontext zu sehen sind, aber fast ausschließlich als hilfsbedürftige Protagonist*innen auftreten, beispielsweise in der Diakonie, auf Spendenplakaten, bei der Arbeit mit Geflüchteten, der Hausaufgabenhilfe, auf der Fairtrade- Schokolade …

Wir sehen sie aber kaum bis gar nicht auf der Kanzel, im Kirchengemeinderat, der Kirchenleitung, im Mitarbeiter*innenkreis oder in unterschiedlichsten Planungstreffen.

Wenn ich heute durch die Innenstadt laufe, sehe ich deutlich, dass unsere Gesellschaft zu etwa einem Viertel aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht. Der Anteil bei den Kindern unter fünf Jahren liegt sogar bei 41 Prozent. Wenn ich Sonntag morgens in den Gottesdienst gehe, sehe ich von dieser Vielfalt nichts. Die Diskrepanz ist aber kein Zufall, denn sie hat mit den verfestigten Bildern und Vorurteilen zu tun und mit der mangelnden Aufarbeitung der eigenen kolonialen Verstrickungen in der Entstehung des Rassenkonstrukts. Ich selbst konnte mir zum Beispiel nie vorstellen, Pfarrerin zu werden, weil es für mich in der Kirche schlichtweg keine Vorbilder gab. „You can only be what you can see“ – es gibt an den entscheidenden Stellen unserer Kirche bis heute viel zu wenig People of Color.

Und wenn wir schon über Rassismus reden, reden wir nur zu oft von den anderen und betrachten uns als Kirche viel zu selten mit der notwendigen Selbstkritik. Dabei hängt unsere Zukunftsfähigkeit doch auch davon ab. Gerade in Hinblick auf schwindende Mitgliedszahlen in einer pluralen Gesellschaft muss sich Kirche selbstkritisch in den Blick nehmen und so den vielfältigen Identitäten Beachtung und Achtung entgegenbringen.

In der Bibel sehen wir, wie Gott selbst sich von Anfang bis Ende an der Seite der Unterdrückten sieht: Gott rettet durch den Exodus, Jesus lebt und predigt, wo er sich und Gott in der Welt sieht. Und Paulus warnt vor Spaltung und ruft zur Liebe untereinander auf, in einer Kirche, die schon damals nicht mono-kulturell gedacht war. Außerdem sehen wir uns als Christ*innen als Leib Christi.

Dieses Bild des Leibes kann uns helfen, uns von latentem Schwarz-Weiß-Denken zu lösen und versteckte Rassismen gemeinsam zu überwinden.

Es mag wehtun, Rassismus bei sich selbst zu erkennen. Es mag schwer sein, die Dinge anders zu betrachten als wir es gewohnt sind. Doch so können wir gemeinsam Verantwortung übernehmen,

uns verändern und die nachfolgenden Generationen prägen und zu einer gemeinschaftlichen Kirche werden, von der bereits Paulus, Martin Luther King und viele andere geträumt haben.

Sarah Vecera
Theologin, Aktivistin, Mama Autorin „Wie ist Jesus weiß geworden?“