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Kirche am Ende – 16 Anfänge für das Christentum von morgen…

Provokant wie der Buchtitel sind auch die Thesen des Münchener Pfarrers und Autors Tilmann Haberer, die er am vergangenen Samstag, 1. November  in der Citykirche Reutlingen in einer Veranstaltung von „Kirche für morgen“ (Kfm) präsentierte und zur Diskussion stellte.  Martin Schmid und Brigitte Zirngibl hatten diesen Impulstag organisiert.

In seinen Thesen zeigt er, wie eine Kirche ohne Immobilien, ohne Kirchensteuer und ohne Beamten-Pfarramt funktionieren könnte. Er beschreibt Projekte der Gegenwart, die mit hohem persönlichem Engagement gelingen und sich in Milieus bewegen, die mit traditioneller kirchlicher Arbeit schon lange nicht mehr erreicht werden. Theologisches Fachpersonal, so Haberer, sei auch in Zukunft wichtig, würde aber durch multiprofessionelle Teams ergänzt, die sowohl Kompetenzen in Verwaltung und Finanzen, als auch im diakonischen Bereich und in der digitalen Welt mitbringen.

Haberer stellte sich den teilweise kritischen Fragen und Rückmeldungen der Zuhörenden. Da das Publikum zum großen Teil aus Kfm-Kreisen kam, wurden seine Thesen zum großen Teil wohlwollend aufgenommen. Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeitende teilten seine Beobachtungen und Schlüsse, dass Änderungen not-wendig und auch an manchen Stellen schon erprobt seien, etwa die von Tilman Haberer geforderte gottesdienstliche Formenvielfalt an unterschiedlichen Orten in unterschiedlichen Settings. 

Im Vorfeld waren drei Personen um ein persönliches Statement gebeten worden: Heinz Gerstlauer, Pfarrer i.R. und Vorsitzender der Paul-Lechner-Stiftung, Lothar Heissel, Vorsitzender der Bezirksynode Reutlingen und Kirchengemeinderatsvorsitzender und die aus der Kirche ausgetretene Hausleiterin eines Altenpflegeheimes Caroline Wucherer. Ihre sehr unterschiedlichen Statements spiegelten die verschiedenen Blickweisen auf die Kirche als Institution wider. Während Gerstlauer und Heissel die Erneuerungsbedürftigkeit zwar durchaus betonten, die Maßnahmen sollten aber systemerhaltend gedacht und durchgeführt werden. Beide teilten die Befürchtung, ohne die Institution wie sie ist wären Verwirrung und Chaos vorprogrammiert. Dagegen wirkte das Statement von Caroline Wucherer fast wie ein Gegenentwurf:  Sie legte den Fokus auf das Christsein außerhalb von Kirchlichkeit. Sie betonte die Selbstwirksamkeit, die sich aus der Gegenwart Gottes in jedem Einzelnen speist. Jeder kann in diesem Bewusstsein die Gemeinde Jesu Christi an seinem jeweiligen Wirkort sichtbar machen. Dazu bedürfe es keiner Institution. Ihr sehr persönlicher Vortrag bewegte die Hörenden.

In einem Worldcafé beschäftigten sich die Teilnehmenden mit drei aus dem Publikum eingebrachten Themen: Ohne Abschaffung des OKR wird nichts passieren!! Welche Aufgaben gibt es in Zukunft für die Pfarrpersonen? Service first oder Worship first?

Tilman Haberer bedankte sich in seinem Abschlussstatement für die offene Atmosphäre in dieser Veranstaltung. Er betonte, sein Buch sei keine Handlungsanweisung, sondern als Impuls gedacht, Kirche radikal im Sinne von „an die Wurzel“ gehen neu zu denken. Andreas Arnold, Vorsitzender von Kfm, lobte in seiner Rede die Herangehensweise von Tilman Haberer, die einen anderen Begriff von Kirche nahelegt und zu einem Christsein out of the box einlädt.

Im spirituellen Abschluss stand die Mystikerin und Sozialarbeiterin Madeleine Delbrêl mit ihren erfrischenden Gedanken im Mittelpunkt, eine inspirierende Zeugin für ein Christenleben im Hier und Jetzt. Ein inspirierender Nachmittag mit genügend Raum für Begegnung und Gesprächen und hoffentlich auch anregend für die Arbeit in den Gemeinden.

– Von Brigitte Zirngibl. Fotos von Arne Gigling